Abruf

Artikel über das Leben eines KZ-Inhaftierten

Ein Beitrag für die Süddeutsche Zeitung von Jasmin Gottschalk

Wieder kam ein Viehwagen im Kasernenhof an, jeder Neuzugang bedeutet wieder weniger Platz, der einem selbst blieb. Schon seit zwei Stunden stand ich an der mir endlos vorkommenden Essensschlange an. Bei dem Gedanken daran, welches wir bekamen, zuvor auf dem Judenfürsorgewagen gelegen hatte, wurde mir übel. Der Judenfürsorgewagen, wie die Nazis ihn nannten, war ein mit Rollen versehener Karren, welcher von uns Juden gezogen werden mußte. Mit ihm wurde das Gepäck, Brot und Menschen, egal ob tot oder lebendig (meist eher die Leichen), transportiert. Doch das gehörte für die hier Lebenden schon längst zum Alltag. Endlich befand ich mich am Ausgabefenster und ich konnte den dort hängenden Speiseplan (welcher sich nie sonderlich veränderte) lesen. Zum Frühstück gab es Kaffee-Ersatz, zum Mittag gab es Kartoffeln mit Sauce und zum Abendessen gab es dünnen Kaffee oder Suppe. Manchmal gab es auch ein Stück Pastete, doch das kam sehr sehr selten vor. Die tägliche Zuteilung betrug nicht mehr als 1000 Kalorien. Vielleicht erhielt man ab und zu auch 1200 Kalorien, mehr aber auf keinen Fall. Nachdem ich gegessen hatte, machte ich mich auf den Weg zum Keller. Ich schlenderte durch die Gassen. Vorbei an der Fleischerei, der Parfümerie und einer Apotheke. Theoretisch hätten sie sich die Arbeit sparen können, diese Geschäfte zu errichten. Kaufen konnten/durften wir in ihnen sowieso nichts. Es war wie in einem Katalog oder in einem Magazin, man konnte sich die Sachen zwar angucken, aber bekommen konnte man sie nicht. Dann gab es da noch ein Haushaltswarengeschäft. In diesem Geschäft verkauften die Nazis die Sachen, die sie bei uns beschlagnahmt hatten. Die einzigen Geschäfte, welche uns etwas nützten, waren die Reparaturwerkstätten. So durften nun die Quartiere notdürftig ausgebessert werden. Mit großem Fleiß und handwerklichem Geschick, versuchten wir jetzt diesen elenden Ort halbwegs wohnlich zu machen. Nachdem ich die Geschäfte passiert hatte, sah ich einen alten Mann, welcher gerade dabei war den Essenskessel auszukratzen. Die alten Leute konnten einem wirklich leid tun. Sie erhielten die kleinsten Essensrationen, die nur um die 800 Kalorien hatten, und waren somit am elendsten dran. Diese Menschen wurden von den Nazis regelrecht betrogen. Man erzählte ihnen, dass sie zu einer Kur geschickt werden würden. Manche von ihnen hatten ihr Quartier sogar schon im voraus bezahlt. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass der "Führer" von alledem wusste. Sie waren der festen Überzeugung, dass das alles nur ein großer Irrtum war. Als ich weiter ging, sah ich, wie die Hungrigen auf dem Abfallberg nach etwas Eßbarem suchten. Dabei waren die sich dort befindenden Sachen schon alle verfault. Sie aßen diese trotzdem, egal wie es aussah, der Hunger trieb es meistens rein. Kein Wunder, daß die meisten hier im Lager krank waren. Außerdem war das Essen, welches wir erhielten, kaum verdaulich und es enthielt keinerlei tierische Eiweiße. So kam es auch, daß ungefähr 40% der Inhaftierten ein Untergewicht von 30% hatten. Gerade kam ein mit circa 50 Leichen besetzter Rollwagen an mir vorbei. Diese Toten hatten indirekt Glück. Sie mußten wenigstens nicht mehr leiden. Jetzt würden sie bestimmt in eines der zahlreichen Massengräber geschüttet werden. Endlich kam ich beim Keller an. Ich hörte schon leises musizieren. Die Musik war die einzige Freude, die uns geblieben war. Leider hatten wir nur sehr wenige Instrumente, welche auch schon teilweise kaputt waren. Doch trotzdem war es (im Vergleich zu all den anderen) eine angenehme Stunde. Danach mußte ich mich beeilen, um noch rechtzeitig vor der Sperrstunde in mein Quartier zu kommen. sonst riskierte ich es auf offener Straße erschossen zu werden. Ähnliches geschah auch, wenn man das Rauchverbot nicht einhielt oder einen Fluchtversuch unternahm. Gott sei Dank kam ich pünktlich in meinem Quartier an. Natürlich bekam man keinen eigenen Raum, sondern man lag dicht gedrängt beieinander. Jede Person hatte einen Platz von 1,3x1,3 Metern. Also ungefähr soviel Platz wie auf einer etwas größeren Fensterscheibe. Auf diesem kleinen Stück mußte ein jeder von uns leben. Dort mußte man schlafen, Essen zu sich nehmen und sein Geschäft verrichten. Dadurch war das bisschen Stroh, auf welchem wir lagen, feucht und muffig. Überhaupt stank es im ganzen Raum abscheulich. Von dem Essen hatten viele Durchfall und mußten sich auch manchmal erbrechen. Diese Umstände veranlassten mich (und auch viele andere) so manchem Mitmenschen den Tod zu wünschen... Jasmin Gottschalk Klasse 10bKaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium Celle