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Kinder-Euthanasie im Nationalsozialismus

"Unvermeidbarer Verbotsirrtum"

Dieser Ausdruck stellt ein Ungetüm dar. Schwer zugänglich, schwer auflösbar. Und genau darum bringt er etwas zur Anschauung, das  Verdrängen, Verharmlosen von Straftaten unter dem NS-Regime kennzeichnete:

§ 17 StGB lautet:

„Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte…“

 

CZ-Redakteur Andreas Babel machte in seinen detailreichen Vorträgen „Kinder-Euthanasie“ vor Schülern eines KAV-Leistungskurses Geschichte (JG 12) und einer zehnten Klasse deutlich, dass Ärztinnen und Ärzte, die den hippokratischen Eid abgelegt haben, um Menschen zu helfen, sich nicht auf den § 17 StGB berufen können dürfen, wenn sie unter der NS-Gewaltherrschaft behinderten, entwicklungsgestörten Kindern Todesspritzen setzten. Das war keine medizinische Hilfe, sondern bewusste Tötung. Die Motivation dieser Ärztinnen und Ärzte, das NS-Euthanasieprogramm aktiv zu befördern, lässt sich mit „Karriere“, „sozialem Aufstieg“, „Emanzipation von tradierten Frauenrollen“ genauso wenig erschöpfend erklären wie mit dem bewusst organisierten NS-Zuständigkeitschaos, polykratische Organisation von NS-Herrschaft genannt. Hier versuchten untergeordnete Instanzen im vorauseilenden Gehorsam dem „gefühlten“ Willen des NS-Führers Hitler zu entsprechen, gerade weil klare Instruktionen, Befehle fehlten.

 

Andreas Babel machte aber auch deutlich, wie schwer es heute ist, Namen von Täterinnen und Tätern festzustellen. Wenn man diese Namen hat, weiß man noch lange nichts Konkretes über die diese Täter/innen handlungsleitenden Motivationen. Tagebücher der Akteure könnten da vielleicht Aufschluss geben. Doch deren Kinder und Enkel  halten diese gern unter Verschluss mit Firewall-Abwehrargumenten wie: „Das muss ruhen“ oder „Das ist eine private Angelegenheit“.

 

Aber auch entsprechende Krankenhausakten der getöteten Kinder fehlen entweder ganz oder die vorfindlichen Eintragungen sind nicht aussagekräftig, weil der Eintrag den tatsächlichen Vorgang der Tötung verschleiert. So heißt es diesbezüglich im Abendblatt vom 10. März 2015:

„Es war im Dezember 1941, als die Kinderärztin Helene Sonnemann der Wandsbekerin mitteilte, dass ihre „geistig minderwertige“ Tochter gestorben sei – wegen angeblicher „congenitaler cerebraler Unterentwicklung und Broncopneumonie“. Tatsächlich starb das Kind an einer schweren Form der Lungenentzündung. Ausgelöst wurde die Erkrankung aber von einer tödlichen Spritze mit dem Beruhigungsmittel Luminal.

Für den Redakteur und Buchautor Andreas Babel ist es sehr wichtig, dass dieses Wissen um Straftaten nicht in Vergessenheit gerät, sondern weiter ausgeforscht wird, um Fehlentwicklungen in der Gegenwart rechtzeitig entgegenwirken zu können. Sein Buch:

„Kindermord im Krankenhaus. Warum Mediziner während des Nationalsozialismus in Rothenburgsort behinderte Kinder töteten" (Edition Falkenberg Bremen, 224 Seiten, 16,90 Euro) erscheint demnächst in aktualisierter Auflage.