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Trend: Freiwillige Arbeit

Bringt doch nichts, oder?

Spricht man mit Schülern der Oberstufe, um sie zu fragen, was sie nach der Schule machen möchten, so bekommt man oft die Antwort: „Erstmal ins Ausland, vielleicht ein internationales Freiwilligenjahr oder so was.“ Vielleicht sagt mancher auch: „Ein Freiwilliges Soziales Jahr und dann mal schauen.“ Ob in Deutschland, in der EU, in Afrika, in Amerika oder gar Asien, die Möglichkeiten für den neuen Trend der sozialen Arbeit sind fast grenzenlos. Doch nicht nur Schüler, die gerade ihren Schulabschluss gemacht haben, üben solche ehrenamtlichen Tätigkeiten, wie es so schön heißt, aus. Man findet sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene in den verschiedensten Bereichen. Manche sind in der Feuerwehr, in der Kirche, in Mehrgenerationshäusern oder Vereinen tätig. Ob als freiwilliger Trainer, Teamer für Gruppen oder Feuerwehrmann bzw. Feuerwehrfrau, überall heißt es „Volle Kraft voraus!“ für ehrenamtliche Arbeit. Aber woran liegt diese neue Motivation? Betrachten wir die hochangepriesene soziale Tätigkeit einmal pragmatisch. Schon der Name sagt es, man muss arbeiten. Als FSJ-ler oder FSJ-lerin (das sind diejenigen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren) in einer Jugendherberge beispielsweise muss man Tische abräumen, Geschirr waschen, Gruppen betreuen und manchmal sogar Toiletten putzen. Das alles, ohne eine Gegenleistung wie Geld dafür zu bekommen, sondern wie es eben schon der Name sagt, freiwillig. Auf den ersten Blick scheint es also, dass man am Ende von einer sozialen Tätigkeit nichts hat. „Was bringt das schon?“, wird sich wohl der ein oder andere an diesem Punkt fragen. Das Geschirr von anderen abzuwaschen, wenn man eigentlich Freizeit haben könnte, immer bereit zu sein, weil etwas brennen könnte, oder sich mit lärmenden Jugendlichen rumzuärgern. Jetzt werden wahr-scheinlich wieder Leute ankommen, die sagen, dass es erfüllend sei, das Glück zu sehen, das man anderen durch seine Tätigkeit bringt. Aber ehrlicherweise muss man an dieser Stelle auch ergänzen, dass oftmals ehrenamtliche Arbeit nicht wahrgenommen oder gewürdigt wird. Die Kinder in der Jugendherberge beschweren sich wahrscheinlich eher über den ekligen Tee, als ihr Glück zum Ausdruck zu bringen, dass ein FSJ-ler zwei Stunden früher aufgestanden ist, um diesen zu kochen. Dass die freiwillige Feuerwehr kommt, wenn es brennt, sehen wir als selbstverständlich an, ebenso wie den Umstand, dass in der Konfirmandenarbeit jugendliche Teamer helfen. Dabei verbirgt sich hinter allem viel Arbeit, nicht nur direkt vor Ort, sondern auch zu Hause durch die Vorbereitung. Also warum machen diese Leute das, anstatt auszuschlafen oder einfach so zu chillen?

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, weswegen beispielsweise Faulheit bei uns komplett verschrien ist. Neben der Schule machen wir Sport oder Musik, verfolgen unsere Ziele. Oftmals brauchen wir einfach das Gefühl, gebraucht zu werden und der bzw. die Beste zu sein in dem, was wir tun. Untätig rumsitzen klappt bei den meisten wahrscheinlich nur eine Woche, dann fühlt man sich nutzlos. Immer mehr Menschen hinterfragen sich selbst. Was mache ich eigentlich auf dieser Welt? Burnout ist die neue Volkskrankheit. Immer mehr Menschen sind motivationslos, wenn sie nicht wissen, worauf sie hinarbeiten sollen. Umso besser fühlen wir uns, wenn wir denken, wichtig zu sein. Zu sehen, was man geschafft hat, bringt weiteren Antrieb für die nächsten Hürden. Ohne den Feuerwehrmann brennt das Haus ab, ohne den Trainer im Verein verlieren die Kinder ein tolles Hobby, ohne den FSJ-ler in der Jugendherberge kann man viele Freizeiten nicht bezahlen. Durch die Freiwilligen lebt die Gesellschaft. Gleichzeitig haben diese eine Aufgabe und ein direktes Ergebnis ihrer Bemühungen. Egal, ob sie es geschafft haben, das Haus zu löschen, oder ob sie ihre erste Gruppe gut betreut haben. Welcher Mensch wird denn nicht gerne gebraucht? Wohl keiner! Wir alle fühlen uns doch gerne wichtig.

Zum anderen bekommt man durch soziale Arbeit eine große Chance, Erfahrungen zu sammeln. Eine junge Frau, die ein Jahr in Bolivien freiwillig in einem Kloster arbeitete, sagte zu mir, dass sie erst dadurch erfahren hätte, wer sie eigentlich sei. Deswegen nutzten vor allem gerade von der Schule abgegangene Jugendliche die Möglichkeit der freiwilligen Arbeit, meistens für ein Jahr. Viele erkennen in dieser Zeit, was sie mit ihrer Zukunft anfangen wollen. Auch für das spätere Berufsleben nimmt man vieles mit. Ob in einer Jugendherberge, im Verein oder in der Kirche, man muss lernen, mit anderen Menschen auszukommen. Das haben auch mittlerweile viele Unternehmen erkannt, weswegen in Bewerbungsgesprächen immer öfter nach ehrenamtlichen Tätigkeiten gefragt wird. Denn solche Bewerber beweisen allein dadurch bereits, dass sie die Fähigkeit besitzen, mit anderen zusammenzuarbeiten. Wenn man einmal gelernt hat, mit Menschen auszukommen, wird das Leben viel leichter. Das heißt nicht, dass man auf einmal alle mag, aber dass man es mit ihnen aushält und ihnen mit Toleranz begegnet. Natürlich lernt man je nach Arbeit noch andere Dinge. Das muss nicht immer das Feuerlöschen sein, aber zum Beispiel, wie man eine Gruppe als Teamer oder Trainer leitet oder wie man Kinder für ein bestimmtes Thema interessiert. So erhält man statt Geld vielleicht etwas anderes wirklich Wichtiges: Wissen und Erfahrung. Umsonst arbeitet man folglich nicht.

Dennoch darf ich hier auch die sozialen Kontakte nicht vergessen, die man schließt. Soziale Kontakte. Das klingt wahrscheinlich für manche etwas abgedreht, meint aber unter anderem nichts anderes als Freundschaft. Die Frau, die in Bolivien war, erzählte mir dazu folgende Geschichte: Bei ihrer Arbeit lernte sie einige Bolivianerinnen kennen, mit denen sie sich anfreundete. Allerdings besitzen die Bolivianer ein anderes Zeitverständnis als wir. Wenn man sich um 15.00 Uhr verabredet, dann kommen sie meist erst zwei Stunden später. Das mag für uns zwar unverständlich klingen, gehört aber zu deren Kultur. Daran hatte sich auch die junge Frau gewöhnt. Nun besuchte sie für ein paar Tage Bolivien, ungefähr ein Jahr nach ihrer Arbeit dort. Sie verabredete sich mit ihren alten Freundinnen, dachte aber, sie würden wie immer zwei Stunden später kommen. Es dauerte nicht lange und ihre Freundinnen riefen bei ihr an, wo sie denn bliebe. Das verwunderte sie natürlich, da es doch üblich war, später als verabredet zu Terminen zu kommen. Als sie das zu den Bolivianerinnen sagte, erklärten diese ihr, dass das stimmte, sie aber so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen wollten. Sie handelten also gegen ihre Kultur, nur um ihre Freundin so viel wie möglich zu sehen, ein Beweis der großen Freundschaft, die entstanden war. Ich denke, dass diese Geschichte doch das Wichtigste an sozialer Arbeit zeigt. Es geht um die tollen Menschen, die man kennenlernt. Wer einmal die Gemeinschaft in der Feuerwehr erlebt hat, wird wissen, was ich meine. Es gilt das Prinzip, dass einer für den anderen eintritt. Mit solchen Freunden hat man Spaß, egal in welchem Kontext, und wenn man gerade die Toiletten putzt. Aber auch die Kinder oder Jugendlichen, die man kennenlernt, möchten viele nicht missen. Natürlich gilt das nicht für alle, aber wohl für die meisten. Neben dem Gefühl, gebraucht zu werden, und den Erfahrungen bekommt man etwas unendlich Kostbares: Tolle Menschen, die freiwillig zwei Stunden früher aufstehen, um den ekligen Tee zu kochen, und denen es egal ist, dass wieder jemand darüber meckert, oder man lernt Kinder kennen, die sich darüber freuen, wenn man ihnen beim Basteln hilft und eine Geschichte vorliest. Für diese Menschen lohnt es sich in einer Gesellschaft, die geprägt ist von Individualismus und dem Grundsatz „Der Stärkere gewinnt“, einmal etwas ohne Gegenleistungen wie Geld zu tun. Einmal nichts zu verlangen, nicht der Beste sein zu wollen, aber trotzdem viel geschenkt zu bekommen. Um mit einem Zitat von Oliver Hassencamp zu schließen: „Tun Sie gelegentlich etwas, womit Sie weniger oder gar nichts verdienen. Es zahlt sich aus."