Abruf

Was rede ich denn da eigentlich?

Nach umfangreicher Lektüre dieser Schülerzeitung wisst ihr nun schon einiges darüber, wie wir von anderen beeinflusst werden. Sei es durch unsere Lehrer oder durch die Werbung – von allen Seiten scheint man auf unser Verhalten Einfluss zu nehmen. Wenn aber alle anderen mich beeinflussen, heißt das im Umkehrschluss, dass ich genauso auch alle anderen in meinem Umfeld beeinflusse. Habt ihr euch darüber schon einmal Gedanken gemacht? Mit jedem Wort beeinflussen wir unsere Mitmenschen. Vielmehr tun wir das aber auch durch alles, was wir nicht sagen. Eine hochgezogene Augenbraue, eine unbedachte Handbewegung, ein Augenverdrehen. Durch jede Geste und jeden Gesichtsausdruck kann man die Meinung, die jemand von uns hat, verschlechtern. Oder andersherum: Ein Lächeln oder ein Nicken, und schon hat mein Gegenüber eine etwas bessere Meinung von mir. Der Fachausdruck dafür lautet nonverbale Kommunikation. Paul Watzlawick, ein bekannter Philosoph und Kommunikationswissenschaftler, sagte einmal: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ Gemeint ist damit Folgendes: Egal, wie hartnäckig man versucht, nicht mit anderen zu kommunizieren - wenn ich beispielsweise unbeteiligt in die Gegend starre und jeden ignoriere, der mich anspricht, vermittele ich den anderen damit auch wieder etwas Bestimmtes: Nämlich, dass sie mir entweder völlig egal sind oder dass ich sie nicht gehört habe. Vielleicht halten sie mich auch einfach für zu dumm, um ihre Fragen zu verstehen. Auf jeden Fall aber ändert dieses Verhalten auch wieder die Meinung meiner Mitmenschen über mich, und daraus folgt, dass ich ihnen eine Nachricht übermittelt, also mit ihnen kommuniziert habe. Das heißt also, mit jeder Handlung, die ich ausführe (Und eigentlich sogar, indem ich keine Handlung ausführe!), beeinflusse ich die Meinung anderer Leute über mich.

Das ist aber nicht alles. Wir können unsere Mitmenschen noch viel mehr beeinflussen, als nur ihre Meinung über uns selbst zu verändern. Friedemann Schulz von Thun ist ebenfalls Kommunikationswissenschaftler. Er hat das sogenannte „Vier-Ohren-Modell“ bzw. „Kommunikationsquadrat“ geprägt. Dieses beschreibt, dass eine Nachricht, die der Sprecher äußert, auf vier verschiedene Arten verstanden werden kann: Als Appell, also als Aufforderung an den Hörer, als sachliche Botschaft, als Selbstoffenbarung des Sprechers oder auf der Ebene der Beziehung zwischen Sprecher und Hörer. Nehmen wir zum Beispiel die Aussage: „Mir ist kalt.“ Dieser kleine Satz kann erstaunlich viele unterschiedliche Bedeutungen haben, je nachdem, auf welchem „Ohr“ der Hörer die Nachricht vordergründig vernimmt. Hört er vor allem den Sachinhalt, wird er der Aussage Folgendes entnehmen: „Meine subjektive Meinung ist, dass die Temperatur in diesem Raum zu niedrig ist.“ Das ist einfach ein Fakt, den der Hörer jetzt so stehen lassen könnte. Allerdings nehmen die wenigsten Menschen Nachrichten so sachlich wahr. Angenommen, der Hörer würde eine Selbstoffenbarung in diesen Satz hineindeuten. Dann würde er vielleicht vernehmen: „Ich bin eine fürchterliche Frostbeule und finde, es müsste hier viel wärmer sein!“ Oder es könnte sich bei unserem Hörer um einen sehr empfindlichen, beziehungsgeprägten Menschen handeln. Auf dem Beziehungs-„Ohr“ würde er die Nachricht vielleicht so verstehen: „Ich mag dich nicht, weil du mir gegenüber immer so kalt und unfreundlich bist.“ Hier hätten wir dann wieder das Phänomen, dass sich - durch einen simplen kleinen Satz - das Verhältnis der Gesprächspartner zueinander sehr ändert. Dasselbe passiert auch, wenn er den Satz als Appell deutet und darin hört: „Dreh gefälligst die Heizung hoch!“ Auf diese Weise nehmen viele Menschen solche Aussagen wahr und oft sind sie vom Sprecher ja auch so gemeint. Dennoch wird man, wenn man auf diesem „Ohr“ hört, schnell ärgerlich auf den Sprecher, da man sich herumkommandiert fühlt. Das wiederum verletzt diesen oft, weil er doch gar nicht die Absicht hatte, irgendjemandem Befehle zu erteilen.

Daher sollte man, bevor man etwas sagt, stets darüber nachdenken, was man dort für einen Menschen vor sich hat und wie er den Satz verstehen könnte. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass mein Gegenüber sehr empfindlich ist, kann ich davon ausgehen, dass er überwiegend auf der Beziehungsebene hört. Mit diesem Wissen überlege ich dann, wie ich meinen Satz formulieren kann, damit der Gesprächspartner auch das hört, was ich ihm sagen will. Dabei kann man nämlich leicht darauf Einfluss nehmen, wie der andere eine Aussage versteht. Oft reichen kleine Änderungen in der Formulierung, um dem Hörer grob zu zeigen, was man denn jetzt eigentlich sagen will. Anstelle von „mir ist kalt“ kann ich beispielsweise direkt die Frage äußern, ob der andere die Heizung nicht ein wenig hochdrehen kann. Und meinem Gegenüber wird es gleich wesentlich leichter fallen, herauszufinden, dass dies als Aufforderung gemeint ist. Je nachdem, ob ich dann noch das kleine Wörtchen „bitte“ in meinen Satz mit einbaue, kann ich auch beeinflussen, ob sich der andere herumkommandiert fühlt oder mich für einen höflichen Gesprächspartner hält, der aber genau weiß, was er will. Folglich ist es also möglich, durch die Wortwahl nicht nur die Meinung anderer Menschen über mich zu beeinflussen, sondern auch ihr Verhalten und vielleicht sogar ihre Meinung über sich selbst. Und da man ja zwangsläufig bei jedem Satz irgendeine Wortwahl verwenden muss und außerdem - wie wir zu Beginn festgestellt haben - andere ja sogar beeinflusst, wenn man nicht redet und auch sonst nichts tut, folgt daraus, dass man seine Mitmenschen eigentlich ständig und zu jedem Zeitpunkt beeinflusst. Ich würde daher tatsächlich noch einen Schritt weiter gehen als Paul Watzlawick. Nicht nur: „Man kann nicht nicht kommunizieren“, sondern auch und vor allem: Man kann andere nicht nicht beeinflussen!