Abruf

Wie im falschen Film

Schüsse um mich herum. Ein Junge schreit, er fällt getroffen zu Boden, während seine Brust sich rot färbt. Der schwarz gekleidete Agent lässt seine Waffe langsam sinken. Noch nie war es im Biotrakt so still.

Das Mädchen in Raum sieben schreit. Sie ist eingeschlossen, hämmert mit der linken Hand an der Tür. In der anderen hält sie ein Messer. Es ist rot von Blut. Zwei Schritte neben ihr liegt ein junges Mädchen, tot. Wenige Minuten später ist die Polizei da.

Szenen im KAV am Freitag der Projektwoche und ich mittendrin. Mit nur einem Gedanken: Dass ich wohl im falschen Film gelandet bin. Irgendwie stimmt das auch. Eben stand ich noch harmlos im Gang rum, als mir schon ein bestimmter Lehrer eine Kamera mit den Worten „Film doch mal bitte eben!“ in die Hand drückt. In den nächsten Minuten finde ich mich in einem Krimi wieder, in einem Krimi des Kurzfilmprojektes von Sören Richter, Kai Molke und Benedikt Prüwer. Drei Mädchen aus dem siebten Jahrgang stellen den Mord einer Lehrerin an einer Schülerin dar. Die Mörderin, neben der Leiche stehend, wird wenige Sekunden später von einer anderen Lehrerin entdeckt. Die Situation eskaliert. Die Szene, die sich die Teilnehmer selber ausgedacht haben, soll ich jetzt nach einer kurzen Unterweisung filmen. Klingt nach einfacher Arbeit für mich, der neu berufenen Kamerafrau, oder? Das dachte ich zuerst. Tja, das Leben besteht aus Fehleinschätzungen. Schließlich müssen interessante Kameraeinstellungen gewählt werden. Soll die Szene in der Totale beginnen, sodass alles zu sehen ist, oder doch lieber mit einer Detailaufnahme des Messers? Ach ja, lieber Frosch- oder Vogelperspektive? Ich vertrete die Ansicht: „Ist doch egal!“ Aber Sören belehrt mich schnell eines Besseren: „Nur mit den verschiedenen Gestaltungsmitteln, die dir das Filmen bietet, erhältst du Ausdruck. Beispielsweise kann man Gefühle durch die Einstellungen verschiedener Perspektiven übermitteln.“ Ich verstehe, wenn ich jemanden von unten, also in der Froschperspektive, filme, dann wirkt die Person größer und mächtiger. Wäre für die Mörderin doch passend.

Dennoch bleibe ich zu doof, eine Kamera zu halten, ohne zu wackeln. Entschieden, ob ich während des kurzen Gespräches beide, Lehrerin und Mörderin, oder nur die jeweiligen Sprechenden filme, bin ich auch nicht. Noch mehr Wackeln ist vorprogrammiert. Nach mehreren Versuchen ist die Szene dann aber auch irgendwann „im Kasten“. Zum Glück, denn alle Vorbeigehenden hatten bereits Hilfe angeboten, die Polizei zu rufen oder hatten sich nach unserem geistigen Gesundheitszustand erkundigt.

Als wir in den Computerraum zurückkehren, finden wir Herrn Poschmann umringt von Mädchen wieder. Nein, es ist nicht immer so, wie es sich jetzt einige denken werden, ist er doch damit beschäftigt, ihnen das Schneiden von einem Film zu erklären. Schnell gesellen sich ein paar der Jungs zu ihnen und verfolgen die Erklärungen gespannt. Jeder scheint seinen Film möglichst perfekt gestalten zu wollen. Der Schnitt ist für viele der Weg dorthin.

Lena, die in diesem Artikel vielleicht besser als die Leiche bekannt ist, findet das Schneiden sogar wichtiger als das Filmen selbst. „Klar, man braucht zuerst Filmmaterial, aber mit dem Schneiden kann man alles, was beim Drehen schief gegangen ist, korrigieren. Außerdem ist es auch nicht so schwierig, wie du denkst.“

Dennoch muss man Einiges bedenken. Caitlin erklärt es mir, der Computerlegasthenikerin: „Stell dir doch mal vor, dass eine Person eben noch links im Bild und dann einige Sekunden später rechts steht. Solche logischen Fehler dürfen im fertigen Film nicht zu sehen sein.“

Jetzt dürfte ich alles über die Erarbeitung eines Kurzfilmes gelernt haben. Ich möchte mich gerade unauffällig entfernen, als plötzlich ein Schrei durch den Raum dringt. Schnell versuche ich die Ursache des Geräusches zu finden, aber keinem der Projektteilnehmer scheinen Gliedmaßen oder Ähnliches zu fehlen. Verwundert frage ich nach und erfahre, dass der letzte Schritt zum erfolgreichen Film noch nicht abgeschlossen ist: Effekte und Musik müssen eingefügt werden. So dauert es auch nicht lange und schaurige Musik dringt aus den Lautsprechern diverser Computer. Schwer zu entscheiden, welche gruseliger ist oder welcher Schrei am meisten nach Todesqual klingt. Fragen, die sich ein normaler Mensch nicht stellen würde. Ich bin wirklich im falschen Film gelandet. In einem Film voller kreativer Leute, deren Movies sich zu sehen lohnen. Ausgewählte Ergebnisse werden bald auf der KAV-Homepage zu sehen sein. Es steckt viel Arbeit darin, vielleicht ist ein Film mehr gelungen als ein anderer, aber interessant sind sie alle. Vielleicht aus dem Grund, dass alle Teilnehmer Spaß an ihrem Projekt haben.

Nun bleibt mir nur noch eine Anmerkung. Falls jemand nach den Sommerferien im geheimen Stützpunkt „KAV 1“ die verrottete Leiche eines Wachsoldaten finden sollte, Agent 00Leon verfügt über die Lizenz, zu töten. Bitte alle Beweisstücke vernichten. Weder Polizei noch die Medien benachrichtigen. Sonst nimmt 00Leon dich ins Visier.

Ach ja, den verirrten Polizisten, der noch immer nach der Leiche der Schülerin sucht, beruhigen und nach Hause schicken.