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Bigband als Versuchskaninchen für Nachwuchs-Arrangeure – Landesmusikrat am KAV zu Gast

Liegt es nun an mir oder an den Noten, dass sich das Stück so schief anhört, völlig aus dem Rhythmus gerät oder - ganz schlimm - gar nicht erst greifen lässt? Jeder, der sich schon einmal ernsthaft damit beschäftigt hat, ein Instrument zu erlernen, weiß, dass eigentlich in aller Regel Ersteres der Fall ist. Beim Workshop „Bigband Arrangement" aber, mit dem der Landesmusikrat Niedersachsen am letzten Januar-Wochenende im KAV zu Gast war, war alles ganz anders ...
Jörg Klimke, Saxofon spielender Ingenieur aus Braunschweig mit eigener Jazz-Combo, sah irritiert auf die Notenblätter auf seinem Dirigierpult: „Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt", meinte der 1,90m-Mann verunsichert, als schon der erste Teil seiner selbstgeschriebenen Bigband-Version von „Vou Te Contar", einer rassigen Bossa Nova aus der Feder Antonio Carlos Jobims, bei der Probe mit der KAV-Bigband auch beim dritten Anlauf rhythmisch heillos aus dem Ruder lief. An den Musikern, so viel war klar, lag es nicht.
Der Braunschweiger war einer von fünf Teilnehmern des neuen Workshops „Bigband Arrangement", mit dem der Landesmusikrat Bigband-Leiter künftig in die Lage versetzen will, ihren Bands eigene, maßgeschneiderte Arrangements zu schreiben. Zwei Wochenenden lang hatten Jörg Klimke und die anderen Nachwuchs-Arrangeure mit dem renommierten Oldenburger Hochschuldozenten und künstlerischen Leiter des Jugendjazzorchsters Niedersachsen, Professor Bernhard Mergner, theoretisches Grundlagenwissen gepaukt, sich mit der komplizierten Materie von Blocksatz und Choral Voicing, low intervall limits und Funktionstönen beschäftigt. An diesem letzten Januar-Wochenende im Musikraum von KAV III sollten nun die Partituren ihrer ersten selbstgeschriebenen, 16 bis 18-stimmigen Arrangements mit der KAV-Bigband in jeweils spannenden Premieren zum Klingen gebracht werden.
Dabei war die kritische Auseinandersetzung der Musiker mit den neuen Stücken nicht nur erlaubt sondern ausdrücklich erwünscht - eine Gelegenheit, die die KAV-Jazzer reichlich zu nutzen wussten. So wurden etwa durch fehlerhafte Intervalle ausgelöste, allzu gewöhnungsbedürftige Dissonanzen genauso aufgedeckt wie schlichte Notationsfehler. Immer wieder lieferten die Schüler aber auch eigene kreative Ideen zur Spielweise, so wie Nils Mosen: „Es ist eine tolle Erfahrung, einmal kein fertiges Notenheft vor sich zu haben und Einfluss nehmen zu können auf ein Stück", meinte der Gitarrist. Als reizvoll wurde aber auch das Arbeiten mit den ganz unterschiedlichen Bandleader-Persönlichkeiten empfunden. Nicht nur Trompeterin Birte Kleber stellte allen ein durchweg gutes Zeugnis aus: „Ich fand eigentlich alle Arrangeure sehr gut, denn immerhin kennen sie uns ja noch nicht so lange", erklärte sie in der Mittagspause. Während sich die Schüler noch ihre Pizza schmecken ließen, brüteten die Arrangeure im Lehrerzimmer mit Workshop-Leiter Mergner schon wieder über den Partituren. Der mit Abstand Jüngste unter ihnen war der erst 16-jährige Vinh Khuad, in Vietnam geborenes Ausnahme-Talent aus Hameln. Er hatte der Bigband eine funkige Version des 60er Jahre-Hits „Coming Into Los Angeles" geschrieben und beeindruckte durch seine unkomplizierte Umgangsart genauso wie durch sein großes musikalisches Können.
Nach zwei Tagen intensiver Probenarbeit und einem abschließenden kleinen Konzert, das wie die Proben zuvor mitgeschnitten wurde, wurde von Allen ein durchweg positives Fazit gezogen: „Es war ein tolles Erlebnis, das eigene Stück mal zu hören", meinte etwa der 54-jährige Musikschullehrer Jan Kröncke aus Bederkesa, der die Rock-Ballade „I won`t hold you back now" von Toto zu einem voluminösen Bigband-Stück mit Gänsehaut-Charakter arrangiert hatte. Auch Bernhard Mergner zeigte sich begeistert: „Dieser Workshop hat sich total gelohnt, wir sind immer auf die wesentlichen Probleme gekommen, die mit einfachen Strategien gut lösbar sind. Der Workshop ist mega-interessant für Leute, die eigene Arrangements schreiben wollen", erklärte der Dozent. Gleichzeitig dankte er der KAV-Bigband für die überaus engagierte und geduldige Mitarbeit: "Nicht nur der musikalische Stand, auch der menschliche Umgang der Band ist enorm", erklärte er.